Ernst Stark lebt gern in Paris. Ab und an fährt er raus in den Bois de Boulogne, geht spazieren und fotografiert ein wenig. Dann setzt er sich wieder in sein Atelier in der rue Floréal und schnitzt Landschaften.
Ernst Stark findet im Chaos der sturmgebeutelten Landschaft des Bois der Boulogne ein offenes, strukturelles Äquivalent zur geschlossenen Oberfläche der Stadtlandschaft. Nur hier, in einem atmosphärisch völlig anders aufgeladenen Umfeld können jene Gefühle Platz greifen, die das städtische Leben weitgehend verdrängt. So ist der mit einem Rosenbouquet schwer beladene Holzsarg der Mutter keineswegs ein Sonderling, sondern auf emotionaler Ebene integraler Bestandteil der auf hohen Sockeln installierten Landschaftsansichten, ebenso wie das noch leere Grab des Vaters. Deshalb tauchen Totenköpfe und Särge auf, lassen sich Analogienreihen wie Baum – Körper – Mensch – hl. Sebastian knüpfen, können jene fünf Aststümpfe eines gefällten und geteilten Baumstammes zu fünf, durch das gemeinsame Schicksal verbundenen Brüdern werden, denen auch die „La Chapelle“ genannte Formation aus Gewachsenem und Zerstörtem keinen Schutz mehr bieten wird. Kurz, es ist die Imagination, also ein bildhaft-anschauliches Denken, das Natur zur Landschaft werden lässt. Die entscheidenden Merkmale sind also in der Art der Zuwendung durch einen fühlenden und empfindenden Betrachter zu suchen. Erst durch eine „freie“, genießende Anschauung ohne praktische Absichten lassen sich die Gegebenheiten vor der Stadt wie Berge, Wälder, Felder und Flüsse als Landschaft begreifen. Ursprung der Landschaft ist somit nicht die Natur, sondern das sinnlich begreifende Subjekt. In der so gebildeten „Landschaftsvorstellung“ ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Selbst und Welt maßgebend und bestimmend.
Andreas Bee