Dem Holzbildhauer Ernst Stark ist ein Baum vor das Atelier gefallen. In dem unmittelbar an sein Atelier in der Normandie angrenzenden Wald liegt der Fundort der Baumstämme. Dort gewachsen und nach dem Sturz in einer eigenwilligen Anordnung verbleibend, gehört der Baum zur Familie der Zypressengewächse (Cupressaceae), die bereits vor mehreren Hundert Millionen Jahren auf der Erde wuchsen.

„Bei Mondschein bin ich um die Bäume geschlichen.“

So fing es an.

Der Imagination folgte der Transport ins nahe gelegene Atelier und die Transformation in eine gleichermaßen monumentale wie poetische Skulptur.

Ernst Stark arbeitete knapp drei Jahre an der siebenteiligen Holzskulptur. Die gefundenen Baumstämme sind in sieben Stücke (mit einer Länge von 230 bis 780 cm und einem Durchmesser von 20 bis 70 cm) gesägt und bearbeitet und liegen in loser Anordnung auf dem Boden des Ausstellungsraums. Inmitten der Baumstämme sind Stühle und ein Tisch aus Bronze platziert. Die Stuhl- und Tischobjekte sind jeweils aus einem Stück Eichenholz herausgeschlagen und in Bronze gegossen. Als Modell dienten Möbel, die der französische Konstrukteur Jean Prouvé 1930 für die Cité Universitaire in Nancy entworfen hat.

Ernst Stark hat, immer dem Wuchs des Holzes folgend, aus den sieben Baumstämmen Skulpturen herausgearbeitet, die an Körper oder Körperfragmente erinnern. Er hat Astlöcher gesäubert, die Rinde abgezogen, den Torso wie ein Tier gehäutet.

„Ich fing an, mit der Oberfläche der Baumstämme zu experimentieren. Dem Wuchs des Holzes nachzugehen, Schichten freizulegen, die entstehenden Flächen mit einer Ziehklinge zu glätten und zuletzt mit sehr feinem Schleifpapier so lange zu polieren, bis eine glatte, leicht glänzende Oberfläche entstand, die an feinsten Stein oder Knochen erinnert und den kampferartigen Duft des Holzes zum Vorschein bringt.“

Die Form der Skulptur, die auf den ersten Blick wie natürlich gewachsen wirkt, ist bis ins Detail gestaltet. Ernst Stark geht wie ein Bildhauer der Antike vor. Er schält das Wesen des Baumes heraus. Es entstehen konvexe und konkave Formen, die einer eigenen Logik folgen und die in ihrer Gesamtheit an (menschliche) Körper erinnern, an geschwollene Gliedmaßen, an aufgerissene Verletzungen, an angespannte Muskulatur.

Nach der Ablösung ihrer äußeren Schichten zeigen die Baumstämme einen hellen, beinahe unnatürlich wirkenden Farbton, den Ernst Stark durch das Auftragen einer eigens angefertigten Aquarellfarbe aus japanischen Muschelschalen noch unterstreicht. Ein sanftes Weiß, eine Farbe, die aus der Natur kommt, wie die Baumstämme selbst. Ein mattes Weiß, das verfremdet, abstrahiert, und der großformatigen Skulptur ihre poetische Leichtigkeit verleiht.

Die bronzenen Möbelobjekte sind als Teil der Installation als Verweise auf kulturelle und handwerkliche Fähigkeiten des Menschen zu verstehen. Und bestuhlen – oder bevölkern – den Kirchenraum. Sie treten in direkte Kommunikation mit den Besucher:innen und laden zum Sitzen und Verweilen ein. Die gesamte Installation umfasst rund 6 x 15 Meter.

Die Weißfrauen Diakoniekirche im Frankfurter Bahnhofsviertel wird seit mehr als 20 Jahren auch als Ausstellungsort genutzt. Der weite Hallenraum aus den 50er-Jahren hat bereits viele namhafte Künstlerinnen und Künstler zu großformatigen ortsbezogenen Installationen inspiriert. Ernst Starks raumfüllende Installation The world is still beautiful hat etwas Erhabenes. Es gelingt ihm, der Präsenz des Raumes die Monumentalität der Skulpturen entgegenzustellen und zugleich mit der sakralen Nutzung verschmelzen zu lassen.

Die Stuhl- und Tischobjekte gleichen Bewohnern eines surrealen Waldes aus liegenden Baumstämmen, die schimmernde weiße Lasur zaubert das Mondlicht zurück auf die Oberfläche.

So fing es an.

„Ich stelle mir vor, dass lange bevor die Spezies Mensch auf der Erde erschienen ist, ein Vorgänger meines Baumes irgendwo auf dieser Welt einen Teil der Landschaft bildete, in der die Sonne täglich auf- und unterging.“
Es ist der Titel der Installation, der eine ganze Geschichte erzählt. Der in Zeiten von Kriegen und Krisen darauf hinweist, dass Kunst auch unter schwierigsten Umständen eine (visuelle) Sprache findet und etwas sichtbar machen kann, was verloren zu gehen scheint.

The world is still beautiful

Text: Sonja Müller; Zitate: Ernst Stark